Poesie und Polemik der Killer-Drohnen und roten Wolken (2013)*
I
Im Schicksal der Städte des Euphrats
Blutsgenossen auch in den Gassen von Jenin
Wird das neu noch scheinende
Lebensalter sich seiner bewusst
In den Ebenen der Wüste
Liegt Schatten-Heil zwischen
Halb verwehten Säulenwäldern
Vor dem Widdergott von Mendes
Oder in den Kratern von Thumais
Der Schwesterstadt verschwand
Das Schloss der Tochter des Juden
Und überall säumen fliegende Schlangen des Armors
den Nil
Warnende Zeichen steigen auf im Fayum
Die steilen uralten Wände aus grauem Lehm
Wer unterscheidet sie von umliegender Erde
Oder vom Schutt auf dem sie gegründet sind
Geplatzt die Lavablöcke des Dromos
Oder aus Goldgier zerstört am
Wasser der Oase
Himmelwärts
Weicht der Rauchdampf
Vom Schlund der Grabung
Im Heiligen See von Sais
Von allem enthoben steht
Das ewige Feuer am Himmel
II
Und möchte singen Euch
Den Gegenwärtigen
Den zart und kupferhaft Gebräunten
Den winterbleichen Gestalten auch
Das Sternenlied von der Wüste
Euch die ihr streuntet wie ich einst
Unter Platanen im Hain
Zwischen Götterbildern aus altem Land
Und suchten wir nicht auch
Nach den stillen Töchtern
des Gottes?
So verweiltet ihr nah
Im Land der Väter
Land des schweren Glücks
Unter schwarzem Trümmerrauch und vergehender Not
Wo Verfallenes ersteht zum ernsten Leben
Euch möchte‘ ich singen von Strandfesten der Sonne
Von bunter Hochzeit im Licht
Und erzählen von frischer Berührung
In sanften Gewässern
Im blauen Meer
Doch jetzt da sind sie
Oh wie körperlich nach
Wenn auch codiert nur erscheinend
Da sind sie wieder
‚Die Orientalen‘
Die Vermaledeiten
III
Schlaue Fackeln des großen Weltgerichts
Durchziehen die Wolken
Und bringen neue Regeln des Leids
Weggenommen ist das Land
unter Feuer
Und doch ersteht
Neues Grün
Auf frischer Erde
Bekämpft wurde die
Religion
Und ward doch geschmiedet zu
Neuem Maßstab
Von Gericht und Krieg
IV
„Soft“ heißt die Waffe des großen Umbruchs
Und durchbricht alle schützenden Wände
Die Unversehrtheit des Körpers
Reisst sie dahin
In kleiner und glühender Schmelze
Wider alles schmeichelnde Gerede
Versprüht sie mit ihren Augen schon
Die strafenden Lavaströme
Trägt glühende Hitze und
Rasende Wasser
In andere in ferne Länder
Jemand schützt uns
Ohne zu rechten
Und lässt uns nieder
An höchsten Küsten Wüsten und Deltas
Und unter Palmenhainen
V
Von neuen Feuern des Himmels
Künden
Zwei sausende fliegende Gottesfackeln
Die Drohnen jetzt
Sie kommen hernieder ungeheißen das Strafgericht
Zu erneuern über das turmgekrönte Babel
Oh Feludscha
Wofür fragt die eine
Es mangelt ihnen an Reinheit sagt die andere
Von unten jetzt das Geschrei der Verbrennenden
der Getöteten
der Versinkenden
In Marmorschalen der Brunnen Vebrühenden
Wir haben gefehlt schreien sie
Wir haben Euch nicht gedient rufen Sie
Eure Sprachen haben wir nicht gelernt
Und doch rufen sie
Wir haben Eure Sitten kopiert
Eure Instrumente gekauft
Alles besser gemacht als je gedacht
Geschwitzt haben wir für Euch
Und unsere blanke
Von Schweiß glitzernde Stirn gezeigt
In Mengen rasen wir unter Fahnen der Freiheit daher
So wie ihr es gelehrt habt
Ihr die Ihr uns
Liebe und Freiheit
Lehren wolltet
Ihr aber schickt uns ins Verderben
Was sagt der Scheich am Berg
Haltet euch fern von Ihnen den Ungerechten
Den Strafenden
Haltet euch fern von ihren goldenen Solden
Ruft der Derwisch
Vom Blitz beleuchtet zerstiebt er in rote Stücke
Und der Monitor der Watchdog-Guppen zeichnet alles auf
Auch der Drohnen wie sie sagen gerechte Schläge
Die Fackeln des niedergehenden des gesendeten Feuers
Was sagen die Spione fragen die Drohnen nach oben
Starke Nachrichten über Myriaden von Schuldigen und
Die wenigen Unschuldigen
Alle werden gezählt
Lange Messer der Paranoia werden hochgehalten
Was sagen die Wissenschaftler unserer großen Universität
Verheerende Folgen die Köpfe der Hydra wachsen
Myriaden von Märtyrern
Es ersetzt sich gegenseitig erinnernd einer den anderen
Sinkt einer hinunter so stehen sieben für ihn ein
Ist die Antwort
Wie eine sich entkettende hochzischende Schlange
Und wie beenden wir die Erinnerung fragt die eine
Vergessenheit ist kein des Menschen würdiger Zustand
Sagt die andere
VI
Als sprächen Wolken zueinander von ferner Hand gelenkt
Setzen sich die Drohnen in unsere Träume
Ist hier ist‘s dort fragen Sie
Weiter
Dort ist’s spricht es aus dem „Off“
Es ist noch immer die Stimme des Himmels
Als trieben nur heftige Winde sie
Weiter in die fernen Länder und doch
Zu vollenden ohne Recht den Richtspruch
Sprechen sie über falsche Religion und
Vergeudetes Leben
Setzen ein taubes Getriebe
Aus Stahl und Draht
Wie die Fackel der Gerechtigkeit
In Bewegung
Als wüssten sie nichts
Vom Schrecken
Den Sie bringen
Oder als wäre es vielleicht ein Kunstwerk
Der sie leitenden Hand
Sie blicken hinunter
In die aufbrechenden Flammenmeere
Es schmilzt alles, was fest noch schien
Dahin in brennenden Fluten
So reisen die Drohnen in purpurnen Nebeln dahin
Mischen sich gezielt unter fernes Leben
Unbillig richtend zerstören sie
Und entfachen den Brand über
Den Tempeln der illustren Götzen und ehernen Tiergötter
Den runden Türmen und Kuppeln
Und unter den vom Blut verschmierten
Lehmhütten der Armen am Rand
VII
Was wäre vom Wissen zu sagen
Von den Griechen Lord Byron und Victor Hugo
Und selbst vom Wissen des Einen
Der warnend rief
Der Gott ist tot der solches Tun noch heiligt
Es geht Ihnen das Wissen verloren und
Niemand antwortet der Stimme die sie treibt
Benehmt Euch
Es ist nur eine Frage des guten Benimms
Sagt ein anderer Philosoph
Wird man ihm folgen
VIII
Dort ziehen sie hin in bleichen Wolken
Mit dunkler Flanke
Rot droht der Horizont
Stumm wie ein Sommer der Dürre
Unten mischt Wind in Sand und Fluten sich
Und aus den Urnen schwanken bleiche Köpfe
Es brennen die Körper licht
Im Nachtwind ziert der dunkle Rauch
Bedrohlich steigt das Raunen
Aus schwarzer Silhouette der Palme auf
Der Blick im ewigen Flug des Vogels
Das Meer
Muss man es trockenlegen
Das Meer
Tickernd fragt die vom Rot der Wolke geschützte Drohne
Entledigen sich aller Erinnerung
Nein sagt die Stimme aus dem Äther
Noch nicht
IX
So nehmen die Drohnen ihren Flug zurück
Gottbefohlen im Säuseln des Winds
Und voll von neuen weittragenden Programmen
Schnell noch das Gastmahl
Des Scheichs
Wer gäb‘ ihm den schützenden Mantel
Die Derwische am bunten Teppichrand
Tunken ihr Brot
Im grünen Brei der Helba
Es schlägt der Blitz
Verrunzeltes Fleisch
Die Namen von der schwarzen Liste
Aus glühendem Babel
Verschmolzenen Städten
Über die Sphinx und Pyramiden
Schwirren die Drohen zurück
Und heben zum Landen an in Neapel
Hinter dem Grün der weiten Rasenbank von Sorrent
Der Central Command
*Aus Victor Hügo, Das Feuer des Himmels, Vantage Point World Verlag, 2013. Im Juli 2020 füge ich, Meingast, diese nur wenig neu bearbeiteten Gedichtzeilen aus dem Jahr 2013 in das digitale Wunder einer Webside ein. In gewisser Weise ist das ein ‚Nachlass zu Lebzeiten‘, und gegenüber damals 2013 haben sich nur die äußeren Lebensumstände geändert, fast nichts dagegen ist an den inneren Bedingungen des erinnernden Austauschs zwischen den Kulturen in Orient und Okzident gerüttelt. Ein zu kommodes Feindbild Aus Vorwort und Nachrede des damals gedruckten Bändchens (Feuer des Himmels/ Die Drohnen) stelle ich ein paar Textstellen zusammen, um gerade dieses deutlich zu machen:
„Bei Victor Hugo handelt es sich nicht nur um einen Dichter, manche behaupten, der größte, sondern auch um einen politischen Heroen des republikanischen Frankreichs im 19. Jahrhundert. Schon früh begibt sich Hugo in die romantische Welt der Befreiung; mit der Gedichtsammlung „Les Orientales“ (1829) begleitete er die Griechen bei ihrem Aufstand gegen das osmanische Reich.“ (S. 7f)
„ ... heute wie damals zurzeit Victor Hugos geht es um die Vorherrschaft im östlichen Mittelmeerraum. Der Autor damals scheint von jugendlicher Lebensfrische zu sprühen, und es spiegeln sich in seinen Versen doch sehr reife Bilder der Zeit wieder, in einer angespannten zwischen Orient und Okzident wandernden Metaphorik. Mehr noch ist es die lebendige Durchmischung von Heiterkeit und Terror, die uns heute aufhören lässt. In dieser Dichte bei uns diese Mischung unbekannt. Im Kern – so scheint es – befinden wir uns 1829 schon in einer Stimmungsfeld, die heute noch – mächtiger denn je – unseren Medienalltag prägt.“ (S.59f.)
„Hugo führt den kulturübergreifenden strafenden Gott in Kenkampf zwischen Orient und Okzident ein. Eine gewissermaßen technische, den Zug der verderblichen Wolken leitenden der Größe, die sich letztlich völlig der menschlichen Handhabung entzieht. Da ist er, der Deus Ex Machina, der uns in der Drohne wieder begegnet. Die allgemeine, die von Menschen nicht beherrschbare Religion der Technik.“ (S. 60)
„Alles reizt, von der Rhetorik, sie, die Tat des Unheils zu legitimieren, bis hin zum Technischen, zur Logistik des Strafaktes. Der heutige Beobachter ist so geneigt, dass Hugo-Gedicht als Folie zur Interpretation seines eigenen Zeitalters zu nehmen. Sowohl die quasi biblische Segnung eines Grundkonzepts des reinigenden Zerstörens und Mordens, die offene wie heimtückische Intervention, als auch das annullieren von Jahrtausend alten Kulturschätzen“ (62)
„Das Schweigen gegenüber den Drohnen lässt sich nur dadurch erklären, dass wir in der Geschichte des die Übeltat rechtfertigenden Gottesgerichts stecken geblieben sind. Der selbst regierende Reiz der Menschenrechtsdiskurse hat dann tatsächlich im Verstehen gegenüber anderen Völkern und Kulturen nichts gebracht. Die alten Konfigurationen werden beständig in die Politik des Neuen hineingepresst: Der hohe technische Stand der strafenden Waffen, die Schnelle der Kommunikation und – vielleicht – die denigrierenden Regime der Migration und des Exils.“ (S. 63)