SORRENTINER GESÄNGE (VOM BOOT) (2016)
Erster Teil
I
(Angekommen)
Volare! Cantare! – Si!
So fliegen wir so singen wir der Sonne uns entgegen
Einsam sinnend in Gesängen der Kindheit
Capri-Bilder rot und schlüpfrig
Allzumenschliches aus Sorrent
Von innerer und äußerer Not des Selbst in ewiger Wanderung
Von Öl-verschmierten schwarzen Fischen
Migration in Jahrtausenden
Über das mediterrane Meer
Vom Kahn mit bewegten Händen rührend
Und dann die Großen Worte des Empfangs am Ufer
Richten Sie sich ein
II
(Meingast, ein Ethnologe fühlt sich nach Sorrento gerufen. Er gewinnt eine gewisse Souveranität
seinem Fach gegenüber, und wird plötzlich sein eigner Herr. Er fühlt das Bedürfnis, den Menschen
und dem Ort mit Ehrfurcht zu begegnen. Zuerst muss er sich mit den Zuständen am Ort versöhnen,
dann sichtet er die ankommenden Bootsflüchtlinge. Alles nimmt eine eigenartige Richtung an.
Seine Visionen fliegen ihm davon mit allem, was ihm die Menschen erzählen.
Ach, was kommt da auf ihn zu? Geschichten, gebilligter und nicht gebilligter Art.
Sind es Urzustände der mediterranen Psychologie und Ästhetik? In eigentümlichen Fragmenten versucht er die Wellengänge des Mittelmeers aus den Gedächtnisfetzen der Geretteten zu lesen.)
Ich muss Euch besingen und wenn auch mit gebrochner Stimme
Wenn auch Meister mich verschlingen aus der Zeit zur Ewigkeit
Zum prosaischen Interview verdammt
Wer seid ihr, wo kommt ihr her, wo wollt ihr hin
Wer wie viele seid ihr
Von welcher Haut und Haare
Meerschaumgeborene aus hoher See
In luftigen Kammern des Gummi-Schlauchs
Oh Glück wo doch nur Ächtung und Zerrüttung war
Die Sprache derer die Euch vertrieben
Mit der Zunge aus offenem Mund mit Gesichten und mit Händen
Und dann mit fremden Waffen
Landschaften der Wunder aus alter Zeit
Zum ewigen Babel verdammt
Dort, wo die Wellen Felsen schlagen
Wo weiße Schafsrücken kollern am Himmel
Und über weite Hügel in leichtem Regen
Die Strohfarben durchschimmern
Im Schattenlicht des einsamen Baums
Der Strände Dünen tauchen in türkise See
Und weiße Segel unter schwarz gerahmten Zacken
Der Palmen Grün unter Als-wär’s-Azzurro
Sainte Marie oder Amalfi, La Mer
Als wär‘ der Golf sein ewig Heim
Der vereinsamten Bürgerkinder schmales Sehnen
Luxus Starre Lust
Im Rausch sing ich von meinem
Sorrento-Wandern an warmen
Ewig überspülten Klippen
Wo mancher krank wurde an
Im Abendrot versinkender Sonne
Da kommen auch sie jetzt an
Wellenreiter aus überschwappender Gischt
Voller Mut und sehnender Stimme
Hier ist Sorrent
Im Glauben an die sanfte Migration
War doch die Rede nicht von Schlechtem
Von betend zurückgehaltener Kraft der Heimischen
Den langen Methoden der Integration
Sie sprachen vom promethischen, heroischen Prinzip der Heimat Aller
Und versteckten sich hinter kühlen blonden Winden
Und pflegten gegenstrebig die Gesundheit des strahlenden Alltagsheroen
Und den Intellekt der stillen kaltblütigen Arrroganz
A propos Menschen-Rettung im verbindenden Meer
Abendländische Austauschbarkeit der Schicksale in Not
Angst vor neuen Populismen zum Vergessen der alten
Europa rettet Afrika usw.
Und immer wieder zum Besten der Zivilisation
Und die Scham vor den Finanzlücken
Und im harten Dienst der fröhlichen Wissenschaftler und Experten
Usw.
Wie schön aber möchte Europa die Geretteten retten vor sich selbst
Unter Rosenblättern und leuchtenden Gärten
Hinter behängten Zäunen und bewachten Kirschbäumen
Erweichen sich mit der Wissenschaft von vor-antiken Mythen
Und wären‘s nur wieder Bilder vom nicht-Kausalen Dasein
Und Verschieben der Berge
Der Blick aus der Schweiz
‚Reisst die Alpen nieder flutet Deutschland‘ sagt einer
Und überwindet die mechanische Maschinerie
Wir empfangen die aus den Wassern steigenden Ankömmlinge ohne Namen
Jeder ein Stück Wahrheitsträger von dem wir nichts wissen wollen
Im Fliehen wäre Zeugnis abzulegen von unlesbaren Dingen
Wo das Stück Leben ist
Und wieder nicht
Wo der Schnorchel der Tortur sitzt
Wo Geld ist und Macht
Und schnöder Mammon west
Magie der höheren Mathematik
Leeres Gewicht auf den Waagschalen der Gerechten
Sie sprechen von der Wirklichkeit getrübten Denkens
Die‘s im Bild nur gibt
Da alles fusioniert im falschen Begreifen
Die Oberfläche die uns erwartet hinter Ozeanen
Staatsseelen mit Statistik und weißen Plakaten über der Brust
Und in schwarzer Schrift Kultur
Das wäre also das Höhere
Das Meer im Moment des schwarzen oder roten Motorschlauchboots
Herausspuckt an‘s Ufer
Begleitet von weißem hohen rettenden Schiff
Poesis auf unruhigen Gewässern
Regime des Nicht-Systems
Gesänge als die andere Dichtung
Woge über die Woge geschüttet
Mal sanftes und mal starkes Brausen
Meander der Ordnung unter welkenden Sinnen
Sich entballende Strahlen
Wohin führt die bleiche Wange der empirischen Religiosität
Im Amt
Tanzen möchten wir
Und ferner Brüder Lieder singen
Alagabalus feiern im Zeichen des roten Eros
Wirbel unter Rosenblumen und weißem Blütenstaub
Weitstreifender und feiner Duft der Akazien
Und unter den Linden
Nein wird jetzt gesagt
Mit sorgenvollem Blick
Erscheint die Souveranität des
Von Falten durchfurchten Gesichts
Aus den Spiegeln der Glaskultur
Nein wird jetzt gesagt Ihr nicht
Liebt Oh ihr fliehenden Paare die weißen Schiffe
Und die hohe See im orangenen Schlauch
Entrinnt der stählernen Rache