sorrentiner 2

  III


(Meingast, kaum mehr Ethnologe, versucht ein erstes Interview

Mit einer gerade vom Boot gekommenen, schönen, aber verwirrten Frau:) 


Ach, komm doch ans Land.

Ich zieh dich heraus;

Will wissen, wer Ihr seid,

Von wo Ihr kommt?

Oh, wirklich, so bunt, so braun;

Vom ew‘gen Wasserschimmer so benommen.

Und sänge gern mein Lied dir lächelnd zu,

Wenn weinend du mich triffst.

Doch, sag an, wo kommst du her?

Warum?

Schäf‘rin bist du. Romantiker sind wir alle.
Nur, wo sind noch die Schafe?



Ach Herr! Ja, Bey!

Vom Sonnenglanz ganz ausgetrocknet,
Schon fast verdurstet

Wären wir ertrunken,

Wenn nicht Dein rettend Seil

Mìch hätt‘ getroffen.

Dröhnender Motore Schrei im Ohr,

Lautes flutschendes Wasser im Gummi-Boot

Rausch und ständiges Geschwirre im Schlauch

Ständiges Rutschen.
Und stechend ist jeder Windschlag. 

Mit jeder Welle, die die andere ritt,

So saßen wir, im endlosen Rhythmus

Und lauschten dem Gesang der Karavane

Das Lied im Wadi der Verheisung,

Die Sättel knutschen von unten

Es leuchten Sandsträhnen dich an.

Doch wie Blitzschlag winken die Wellen dir zu

War‘s die Herrlichkeit nicht,

So war‘s doch Schönheit dunkler Linien

Von unten hoch dringend aus grünen Dünen.


Nie hätt‘ ich je die Meerfahrt überlebt.
Waren nicht die Fluten des Nils schon Bedrohung genug?

Doch war mein Sehnen groß,

Und Schmerz war nicht mein Traum. 
Die Narrheit der besseren Welt hatte uns erfasst, 

Und als sie uns mit Fittischen bespannten,

Luftwesten an den Hals ziehend, rot und aufgeplustert,

Wuchs uns der Mut auch, hinüberzufliehen

Und nie mehr zurückzukehren.

Auf Luftkissen gepolstert begannen wir die Reise.

So Erschien uns der neue Mensch.

 

Und sehntest Du dich nicht nach deiner Herde Kern,

Frau? Dein Mann, die Kinder, die Büffelkuh in Wärme und der Bock.

Das sichere Lehmhaus, überm Kopf das Heu

Und das Geraune Deiner Nachbarn, der Ruf des Scheech,

Das Entengaggern und die reutige Meute im Pfützen-Spiel

 

So sollte es wirklich sein, Herr. Doch wovon sprichst du, Bey?

Welch alte Bilder hast du noch im Sinn aus Pharaos Tagen?

Der schnelle Zug der Zeit hat uns das Land genommen.

Nicht der Schiffbruch, den Mann und Kinder mir erlitten.

Die Zeit, das bebende Grollen der Sphinx

Die neue Masche von hinter den Pyramiden.

Sie kamen im weißen Gewand, als wären sie Ritter der Weisheit.  

Und Nichts war, was uns geblieben wäre als der Traum.

 

Vom Dorf waren wir zum Nil gekommen ins lichte Viertel der Stadt

Zwei Stuben, und doch, ich zaudre, es zu sagen,

Uns stieg der Geist zu hoch, und lobten auch die Kinder sehr

Groß werdet ihr sein, und Großes tun

 

Welch Glück, ein Wunder fast, ein brüchiger Balkon,

Der Blick durch ausgezweigte Sykomoren, der süße Tutbaum

Bot Schutz uns vor allem Einfall gegen die Sonne,

Kärglich und ohne Klagen kannten wir das Zürnen des Gottes nicht

Und morgens saßen wir erleuchtet vor blauen Wassern des Nil

 

Wir sprachen nicht von wrong-doing, sounds und terror, von Pietät gar

Mit schrägen Augen kamen sie und spitzen Bärten,

Weiß gewandet und mit der einen Waffe nur

Des ständig wiederholten Worts

War’s Hochmut etwa, dass Gott uns die Vielfalt gelehrt hatt‘

Und wir sie unsren Kindern?

Sie trafen uns im fallenden Gestein

Noch suchten wir nach Atem, Liebe, Luft und Fliehen

Es verstummte das hohe Lied der tausend Star- und Spatzen-Stimmen

Als hätt‘ die Sonne uns verlassen

Im Abendschatten des Tutbaums

Dann war nur noch zu rennen, rennen und schreien war‘s

Ich war allein, und anderes kann ich nicht berichten

 

Doch sei’s drum, ich muss fragen

Was aber jetzt, sag an

Jetzt, da die lange Zeit der Trauer vor Dir liegt

Was kann es sein, dass sich Dir Neues bietet im Leben

Wo doch das alte Dir im Herzen schon verborgen

Wie sollst du’s tragen,

Oder darf ich weiter hier nicht fragen?

 

Mein Herr, der Fragen sind‘s zu viele

Und doch, je mehr der Fragen, so scheint’s doch leichter als

Die Schwere zu ertragen.

Verdunkeln lässt sich nichts,

Ist’s einfach nicht, mit vielen Fragen umzugehen? Macht’s leichter denn,

Schwer dünkt uns nur das Eine:

Leben muss ich, wo meiner Lieben Bild im Innern mir erstarrt.

Gram? Wenn‘s auch Verstellen noch zu lernen ist, im fremden Land

Hier bin ich offen und spreche dankbar nur zu Dir!

 

Wohlan, zeig mir dein Ziel!

 

So darf auch ich wohl eine Frage stellen,

Was ist mir hier in diesem großen Erdteil noch vergönnt  

Noch einmal Rauschen unter grünen Blättern

Vorm Fenster anzuhör‘n das hohe zirrende Gezwitscher

Den blinkenden Schaum  der Wellen zu vergessen

Die stummen Abgründe des Wassers,

Den starren Anblick aus der innern Trauer zu verwischen

Ist’s möglich nun mit Kräh’n und Falken hoch zu fliegen

Das Weiß von Bergkuppen zu schlecken, und hoch oben und hinüber

Den rollenden Komfort der weiten Landschaft

Das schwebende Land jetzt zu entdecken     

 

Frau, was willst du tun?

 

Das Leben ward uns ohne Frag gegeben, so wird‘s uns auch genommen!

 

Und dann?

 

Das ewig überschwappende Wasser  

Die fallenden Köpfe in trockener Luft

Sie hängen an dürren Hälsen

Der Schlauch wird schlaff vom dauernden Wellenbad

Es schauen die Menschen sich an mit glasig garstigen Augen

Europa war für uns verloren, die Richtung und die Kraft

 

Und dann?

 

Dann kamst du!

In vollem Tagesschimmer

Als schleppte dein Schiff unter rasenden Strahlen

Silberne Eisberge hinter sich her

 

Und dann?

 

Es schrillten die Pfeifen

Es surrten die Leinen

Und unsere Leiber drängten hinaus

Jetzt plötzlich, als könnten sie Hoffnung nimmer ertragen

Als wollten sie jetzt, wo Rettung war, ins Wasser

Es war deine Stimme, Herr, sie brachte raue Ruhe

Und ans Schlauchboot gefesselt

Schlepptest du uns zum Ätna

Wo wider Feuerströme und Gekrolle des Vulkans

Die Welt jetzt aus der Höh‘ des strahlenden Gevierts erscheint

So kam ich zu Dir

In diese Götterlandschaft

Wo Häupter richten

Aber nicht gerichtet werden

 


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