Utopie

Utopie des gasförmigen Wirbeltiers


Wir können es nur bewundern, wie John Barnack in Aldous Huxleys “Zeit muss enden” (* siehe meine vorherige Notiz), dieser strenge Vater von Sebastian, ein überzeugender Kämpfer für Menschenrechte bleibt, der er auch noch zu Kolonial- und Kriegszeiten geblieben war. Er hält ganz an seiner linken „Labor“-Überzeugung fest. Standesgemäß war das nicht. Ein übertriebener Ordnungs- und Gerechtigkeitssinn aber machte dem jungen, sich mit 17 bereits als Dichter fühlenden Sebastian das Leben schwer. Er entkam nach Italien, nach Florenz, wo er nicht nur bei seinem lebenslustigen, schwerreichen Onkel Eurace beherbergt wurde, sondern auch auf Bruno traf, einen italenischen Anarchisten und Antifaschisten, der Buchhändler von Eurace. Das war nicht nur ein anregender Gesprächspartner, sondern auch als Mensch ein Vorbild, eine “Persönlichkeit... , die etwas unvergleichbar andres als ihn selbst umschloß – eine über irdische Schönheit von Frieden und Macht und Erenntnis. Aber das, so sagte sich Sebastian, war etwas, dass sein Vater nicht einmal zu verstehen wünschen würde. Er blickte endlich auf. – Eins  von den Dingen, die mir am meisten auffüllen –, sagte er – war dies, dass Bruno einen irgendwie überzeugen konnte, es sei alles sinnvoll. Nicht durch seine Reden natürlich; einfach durch sein Sein.“ (368)

Schon in England hatte Sebastian an seiner Fantasie vom Menschen als einem gasfürmigen Wirbeltier gezimmert. In Florenz mit Bruno erlebte er plötzlich einen Mitstreiter für sein außermoralisches Menschenbild. Hatte er doch Dante gerade auf diese Richtung hin zitiert: (*ich wiederhole):

e la sua volontate è nostra pace;

Ell’é quell mare al qual tutto si move,

Ciò ch’ella crea e che natura face” *

Und sein Wille ist unser Frieden

Er ist dieses Meer, auf dem sich alles bewegt,

So ist es, dass er schafft und die Natur es macht

Am Ende stellt sich heraus, Eurace war früh gestorben,  und Bruno war ein indirekter Genosse seines Vaters gewesen. Doch jetzt hatten die Faschisten, nicht ganz ohne Unschuld Sebstians, Bruno gefangen genommen. Noch erläuterte Sebastian dem Vater seine Idee vom sinnvollen Menschsein: Der ist sinnvoll. „weil er nicht man selbst ist – sagte Sebastian –. Nicht menschlich, sondern ein Teil der Weltordnung. Darum haben die Tiere keine metaphysischen Sorgen. Da sie mit ihrer Physis identisch sind, wissen sie, dass es eine Weltordnung gibt. Wogegen die Menschen sich, sagen wir, mit dem Geld-verdienen identifizieren oder mit Trinken und Politik oder Literatur. Und nichts von alledem hat was mit der Weltordnung zu tun. Also sind sie der Meinung, dass nichts sinnvoll ist.“ (368f.)

Man stelle sich vor, hier jetzt, am Ende von „Zeit muss enden“, im großen Roman, kommen sich Vater und Sohn einander wirklich nahe. In englischer Manier des guten Tones kommen sie überein, den Nachrichten, den guten wie den schlechten, keinen grüßeren Sinn beizumessen: „... man kann seinen Geist darauf einstellen, etwas andres zu hören.“ Das war ihnen ein Handschlag vor dem Schlafengehen Wert.

Nun ja, ob sie bei dem, was sie sich heute als ‚Nachrichten‘ über Präsidentschaftswahlen, Russland, Kriege im Nahen Osten und Pandemie würden anhören müssen, so gallant davon kämen? Bei all dem, darf man denn heute noch Weltordnung bezweifeln, und  erkennen, dass nichts sinnvoll sei?


Share by: