VERKLUNGENE Dichterlieder

VERKLUNGENE DICHTERLIEDER MIT CHORLEITER KREISEL

 

Hörend die Stimme eines erhöht schwebenden Baritons

„Wenn ich in deine Augen seh‘, so schwindet all mein Leid und Weh‘...“

Schwingt mir die Stimme eines älteren passionierten Sängers ins Ohr.

Chorleiter Kreisel singt vor, den Chor des Gesangsvereins einstimmend.

Es tönt die Melodie eines Schumann-Lieds.

 

Es muss im Jahr 1955 gewesen sein.

 In Vorbereitung war das 75. Jubiläum der Frw. Feuerwehr Rossdorf b. Darmstadt.

Im Gesangverein ‚‘Concordia’sang uns Herr Kreisel Schuman-Lieder vor.

Uns ansingend war er immer sehr beeindruckend.

 

Ich durfte schon 13jährig im Chor der meist älteren Männer mitsingen, habe Herrn Kreisel mit der Stimmgabel in der Hand vor uns stehend oder die Tonleiter auf der Klaviatur hämmernd oder wie eben ein Schumann-Lied vorsingend, tief bewundert. Er, der in der Musik seinen Mann stand.

 

Es wäre freilich noch einem anderen Jubiläum zu gedenken gewesen, damals.

Dem wurde aber nicht gedacht, geschweige denn, dass es gefeiert wurde. Nicht im ‚Liederkranz‘, Verein der Sozialdemokratischen

in der ‚Sonne‘;

nicht bei der konservativen ‚Cocordia‘ im „Darmstädter Hof“:

10 Jahre nach Kriegsende, das geliebte Darmstadt hinter dem Bessunger Wald,

noch immer viel in Schutt und Asche.

Wo wir so viel herumstreunten, und ich später doch die ersten Konzerte besuchte.

 

Wenn ich an Herrn Kreisel denke, dann kommen mir zwei Bilder in den Sinn: Zuerst die Bilderreihe in meines Vaters Jugendalbum, ein Bild aus einem ‚Alt-Heidelberg‘-Theater-Spielabschluss auf der Saal-Bühne im „Darmstädter Hof“, nebst mehreren Gruppenbildern von 20-Jährigen, junge Männer und Frauen, darunter auch mein Vater und seine spätere Frau. Da, ach, wie könnte es anders sein, auch ein Bild mit Herrn Kreisel, etwa 1927. Alle saßen sie in Eintracht und Freundschaft zusmmen; „mit uns Getreuen“, wie es unter einem der Bilder meines Vaters steht. Dann viel später ein Video zu „1955“, dem Fest, etwa 2015 zusammengestellt von Frau Ute Poth, Roßdorf, und mir freundlich übersandt, Da ist Herr Kreisel deutlich erkennbar; in die Kamera blickt er, als er zum Feierabend aus dem Büro der OHI kommt, sich aufs Fahrrad schwingt und nach Hause fährt. (Nebenbei, im Jubiläums-Umzug bin auch ich zu sehen, mit dem Schild von der ‚Concordia‘ vor der Gruppe der Chormitglieder schreitend; von Herrn Kreisel war da nichts zu sehen).

 

 

Es ist eben folgendes zu bemerken:

1930 gewinnen in meines Vaters Alben die SA-Uniformen die Oberhand, und selbst noch in Familien-Aufnahmen erschien die Uniform wie eine zweite Haut eng über seinem Kürper zu liegen.

Sonst keine ‚Concordia‘, kein Rossdorf, keine „unsere Getreuen.“

 

Soweit bleibt mir das geplagte dörfliche Zivilleben in Sicht auf den Sänger und Chorleiter Herr Kreisel in Erinnerung. Ich habe ihn später völlig aus den Augen verloren und bin überrascht, ihn jetzt wieder vor mir zu sehen.  

Da weiter nachsinnend, kommt mir ein weiterer Gedanke in den Sinn: Das gespaltene Dorf! Es überlebte alle Wirren des Kriegs. Als die Mitglieder und Sänger des ‚Concordia‘-Vereins – wie gesagt 1955 etwa - Herrn Kreisel, der kein Mitglied und kein Vereinssänger war, zum Chorleiter  wählten, taten sie es sehr ungern und nur, weil sie keine andere Wahl hatten. Er schien ihnen „nicht so recht angemessen“, so hatte es nach der Singstunde einmal Einer gesagt. Aber Kreisel konnte Musik und setzte sich duch. Er gehöhrte offensichtlich zu den Sozialdemokratischen, und nicht zu den ‚Spitzen-Leuten‘ des Musiklebens im Kreis Darmstadt, wie die ‚Concordia‘ es sich gewünscht hätte. Mit Herrn Kreisel konnte die ‚Concordia‘ doch noch einige Gesangs-Wettbewerbe gewinnen. Selbst mein Vater, nach 5 Jahren Gefangenschaft aus Russland wieder „daheim“, hatte gegen Chorleiter Kreisel nichts einzuwenden, wenn auch von „uns Getreuen“ nicht mehr die Rede sein konnte. Und doch, hier lebt ein Sinn für dieses Dorf als ganzes in mir fort. Herr Kreisel hatte in Roßdorf mit Ohr und Sinn ein Gespür für die deutsche Romantik gezeigt, wie später keiner meiner Musiklehrer in Darmstadt.  

 

Heute (03-06-2021); höre ich im Radio France Musique den Zirkel der Dichterliebe im Teint des Kreisel-Baritons. Jetzt aber die höher getragene Stimme eines jungen Schumann-Adepten mit bereits internationalem Ruhm. So kamen mir die „Getreuen“ von Roßdorf und der Herr Kreisel wieder in Erinnerung. Es gebührt ihm großer Dank, den abzutragen, ich mir nicht versagen konnte.

 

(Dass man jetzt nur nicht denke, es sei in Rossdorf im 20. Jahrhundert weiter nichts anderes passiert als innere Dichterliebe im Gesang, hier ein Hinweis auf den Weg vom Dorf zur Kulturpolitk der Nachkriegszeit, die Gechichte eines dichterisch-politischen Powerman: Heinz Friedrich, Erlernter Beruf: Keiner. Erinnerungen an das 20. Jahrhundert. Deutscher Taschenbuch Verlag. München 2006.)


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