SORRENTINER GESÄNGE (VOM BOOT) I
Erster Teil
I
(Angekommen)
Volare! Cantare! – Si!
So fliegen wir so singen wir der Sonne uns entgegen
Einsam sinnend in Gesängen der Kindheit
Capri-Bilder rot und schlüpfrig
Allzumenschliches aus Sorrent
Von innerer und äußerer Not des Selbst in ewiger Wanderung
Von Öl-verschmierten schwarzen Fischen
Migration in Jahrtausenden
Über das mediterrane Meer
Vom Kahn mit bewegten Händen rührend
Und dann die Großen Worte des Empfangs am Ufer
Richten Sie sich ein
II
(Meingast, ein Ethnologe fühlt sich nach Sorrento gerufen. Er gewinnt eine gewisse Souveranität
seinem Fach gegenüber, und wird plötzlich sein eigner Herr. Er fühlt das Bedürfnis, den Menschen
und dem Ort mit Ehrfurcht zu begegnen. Zuerst muss er sich mit den Zuständen am Ort versöhnen,
dann sichtet er die ankommenden Bootsflüchtlinge. Alles nimmt eine eigenartige Richtung an.
Seine Visionen fliegen ihm davon mit allem, was ihm die Menschen erzählen.
Ach, was kommt da auf ihn zu? Geschichten, gebilligter und nicht gebilligter Art.
Sind es Urzustände der mediterranen Psychologie und Ästhetik? In eigentümlichen Fragmenten versucht er die Wellengänge des Mittelmeers aus den Gedächtnisfetzen der Geretteten zu lesen.)
SORRENTINER GESÄNGE (VOM BOOT)
Second Part
III
(Meingast, kaum mehr Ethnologe, versucht ein erstes Interview
Mit einer gerade vom Boot gekommenen, schönen, aber verwirrten Frau:)
Ach, komm doch ans Land.
Ich zieh dich heraus;
Will wissen, wer Ihr seid,
Von wo Ihr kommt?
Oh, wirklich, so bunt, so braun;
Vom ew‘gen Wasserschimmer so benommen.
Und sänge gern mein Lied dir lächelnd zu,
Wenn weinend du mich triffst.
Doch, sag an, wo kommst du her?
Warum?
SORRENTINER GESÄNGE (VOM BOOT)
Third Part
IV
(Boy. ein Junge liegt am Strand, als stürbe er vor Hitze)
Nun, wein‘ doch nicht, mein liebes Kind
Was machst du hier am Zaun
Kannst flach nicht vor der Sonne liegen
Spurt‘ dich und geh‘ zum Offizier
Oh, nein, mein Herr, du siehst’s
Es ist ein arges Zucken und ein Zittern mir
Im Rücken und den Beinen
Vom Meer geschlagen und der Sonne
Lag ich im Boot als Vater, Mutter mir genommen
Du siehst’s es fehlt mir Kraft und Wille
Mich Deiner Gnade anzutrauen
Es ist nicht Gnade, Boy
Du kannst nicht hier mit flachem Körper auf der Erde weilen
Du musst hier raus
Wie kann ich, Herr, hier raus
Wenn überall doch Zäune sind
SORRENTINER GESÄNGE (VOM BOOT)
Forth Part
V
(Der Junge kommt zurück)
Heh, Boy, hast du Deinen Weg noch immer nicht gefunden?
Hinaus aus diesem Lager!
Wer nimmt mich, Herr, ihr seid so sehr beschäftigt.
Und von den Vielen seh ich keinen, der bereit sei,
für mich zu sorgen und eine Herberge mir zu bieten!
Du kannst nicht hier sein in Nacht und Wind,
Und unter den Kohorten
Wie kannst Du Dich da schützen?
UND ZULETZT NOCH BEIRUT, WIEDER
SOMMEREINFALT
Musique
Meingast war kürzlich zu Besuch bei Hannah D., sie wusste nicht, wie es mit ihr weitergehen sollte in diesem, wie sie sagte, ‚unseren Land‘. Sie kam sich plötzlich nach ihrer Promotion vor wie in der Hölle eines Dauerzirkuses.
-Akademische Superperformanz gefragt, quasi ohne Aussicht auf eine Stelle. -Erhöhung des orientalisch religiösen Zwangs zu Hause und vermehrte Gleichschaltung unter Sanktionen. -In der großen Politik zunehmend das Machtspiel zwischen Beschimpfung, Hungersanktionen, Kriegsdrohungen und Gifttode, Kleidersymbolik, Selbst-Orientalisierung als Handlungs-bergenzende Faktoren im neuen – transnational aufgeblähten Ost-Westkonflikt, zählte sie auf.
Auf dem Weg zu ihr streifte Meingast durch den Park, sammelte ein paar Kastanien und sinnierte auf einer Bank. Er hantierte mit den Kastanien. Vielleicht würde eine Figur daraus, die er ihr einmal schenken könnte. Sie hatte ihm wirklich Sorgen gemacht, als sie ihn zum Tee einlud.
HENNAH zum Beispiel oder die Versetzung zur Oberstufe
Du wärst am Berg mir nie begegent. Vielleicht im Garten Deiner Mutter, Johannisbeeren unter den Ohren. Und jetzt doch nur noch schlank, zurückhaltend, graziös im Morgentraum mit schwarzen Locken bleib ich sehend, suchend, Dich erinnernd.
Reformation 20
Nässe, Herbstlaub und doch singen
Hängt im Baum und fällt im Regengold
Der Park ist leer, die Glocken klingen
Die Wasservögel flattern; Wellenmeer
Exiled Mind
SECHS GEDICHTE*
Aus Etzen-Gesäss Kairo und Frassino (2008/9)
*aus den Blättern von Maurice Evelyn Stroughton
CONSTITUTION 01\06
VERKLUNGENE DICHTERLIEDER MIT CHORLEITER KREISEL
Hörend die Stimme eines erhöht schwebenden Baritons
„Wenn ich in deine Augen seh‘, so schwindet all mein Leid und Weh‘...“
Schwingt mir die Stimme eines älteren passionierten Sängers ins Ohr.
Chorleiter Kreisel singt vor, den Chor des Gesangsvereins einstimmend.
Es tönt die Melodie eines Schumann-Lieds.
West-side story 1992
Jede Minute schicke ich ein Gebet zu Benjamin Franklin
Auf den Poren meiner Haut zähle ich die
Sekunden, die meinem Körper die eingepowerten Cents lieferten
Doch es bringt nichts, es reicht gerade zum einen Bier in der Plazza-Bar,
NY – kurz mit Verlaub damals
Andacht
Jetzt bete ich nur noch Sandkörner an
Rolle mich in Wüstendünen
Pflege Bergkristalle aus der Arktis
Und sammele bunte Steine im Revier
Dann jage ich Puste-Blumen-Sternen hinterher
Ehrlich und ohne Katzenjammer
Als wär’s
My money
In Memoriam Bernard Guillot
Würde des scheinenden Blicks
Über die Uralt-City
Worldliness am Abgrund
Es fallen die silbernen Strahlen von Gizeh
Nach Gamaleyya herüber
The Saint-Simonian micro-cosmos
Menilmontant und die
Couscous-Festmahle am
Vantage point der Marginalität
Die schützende Präsenz unter den
Sans Papiers, den über die Alpen
Gekommenen Legionen
Aus Tanta und den umliegenden Dörfern
(man denke an die Home-Welt des Mohamed Salah)
Im dunklen Wald von Versailles noch
Entdeckte er das ewige Licht
Und konnte doch mit einem
Hühnerleberfrühstück beglückt sein
In der Husaini-Street des Naguib Mahfuz
In Memoriam Bernard Guillot
Vom Morgen des mehr als 104ten Tages
Es schwindet das Silber-Blau am Wolkenrand
Die millipedalen Tausendfüßler machen das Rennen und
Erweitern das Straßenband
Die Friedenswelle schwappt hinüber auf Krieg
Da sind die Frauen; sie sprechen von Sieg, und
Männer, die meinen, es sei nur durch Waffen, dass uns Friede wird geschaffen
„Europas Edelfäule“ kommt in den Sinn
Mecedes-Wagen, die Moskau öbermannen
Die Hunde rennen zum „fight“ von den Leinen
Es richt nach Haut und Knochen
Moder von verhungerten Gäulen
Wie stünd‘ ich allein im Frevel der geblendeten Ruinenstadt
Den Schweiß mir von der Stirne streifend
Wie könnt‘ ich euch das „Wir“ noch sagen
Weiß ich doch nicht
Von wo kam „der Befehl zu sinken“